Pantelis Pantelouris – Dieter Klemm

Pantelis Pantelouris, ehemaliger Vorsitzender des Vereins und ein bleibender Freund, begegnete in Hamburg einen anderen Ehemaligen und engen Freund des Vereins:

Dieter Klemm, Sohn des damaligen Kunstlehrers und bis 2011 im Diplomatischen Dienst der Bundesrepublik Deutschland tätig.

Pantelis schreibt uns:

“Vor einigen Tagen traf ich meinen alten bekannten Ulf-Dieter Klemm. Während unserer Unterhaltung über die Schule gab er mir eine Aufzeichung, in welcher er die Erinnerungen eines deutschen Schülers der Deutschen Schule Athen darlegt. Ich glaube, dass dieser Text es Wert ist, ihn auf irgend eine Art zu verwenden. Falls nötig könnte ich den Text übersetzen. Es freut mich, dass ihr Leben in den Verein gebracht habt und verfolge eure vielfältigen Aktivitäten.

Viele Grüße von eurem alten-Dörpfeldianer aus Hamburg

Pantelis M. Pantelouris”

Natürlich haben wir Pantelis gebeten den Text zu übersetzen und somit, nach unserem Dank an Pantelis und Grüße an Dieter, führen wir die beiden Texte, den griechischen und deutschen (das Original) nebeneinander auf. In unseren Augen bleibt Dieter immer “unser Deutscher”.

Ulf-Dieter Klemm

Abitur 1964

Erinnerungen an die Deutsche Schule Athen

Ich habe es immer als großes Glück und enorme Bereicherung empfunden, sechs Jahre meinerJugend – vom zwölften bis zum 18. Lebensjahr – in Griechenland gelebt zu haben. Diese Zeitprägt mich bis heute. Und einen wichtigen Platz in meinen Erinnerungen nimmt meine Schuleein, die DSA.

1958 wurde mein Vater, bis dahin Kunsterzieher an einem Gymnasium einer ostwestfälischenKleinstadt, an die DSA berufen. So gelangten wir, meine Eltern, meine ältere SchwesterBirgid – ebenfalls Absolventin der DSA (1960) – im September 1958 nach abenteuerlicherFahrt in einem gebrauchten Opel durch Jugoslawien nach Athen. Die Ethnikí Odós gab esnoch nicht, wir erreichten die Ägäis in Eleusis und fuhren über die Ierá Odós nach Athen.

Die Anzahl der deutschsprachigen Schüler war damals gering, fünf, sechs Schüler proJahrgang. Das hatte den großen Vorteil, dass wir deutschen, österreichischen oder SchweizerSchüler mehrere Fächer wie Sport, Kunst, Chemie, Physik, Französisch gemeinsam mitunseren griechischen Jahrgangsgenossen hatten, richtigen Klassenkameraden. Bald bildetensich Freundschaften, die teilweise bis heute halten. Ich wurde von griechischenKlassenkameraden nach Hause eingeladen und zu Partys, bei denen zu meiner ÜberraschungJungen und Mädchen zusammen tanzten. Zu meiner ersten Party war ich in kurzen Hosenerschien, es war definitiv das letzte Mal.

Der enge Kontakt mit griechischen Mitschülern half beim Erlernen der griechischen Sprache,auch der Griechischunterricht in der deutschen Abteilung, zweimal pro Woche, den manchedeutschsprachigen Mitschüler nicht sehr ernst nahmen. Frau Karwelá gab sich viel Mühe mituns und legte die Basis für Grammatikkenntnisse, später weiter gefördert durch die HerrenPapadákis und Assonítis. Schon damals wollte mir nicht einleuchten, wieso ich einen Spiritus

asper (δασεία) oder lenis (ψιλή) auf die Anfangsvokale setzen sollte, obwohl es an derAussprache nichts änderte. Gleiches galt für den Zirkumflex (περισπωμένη). Als sieabgeschafft wurden, habe ich aufgeatmet und gedacht: άδικα παιδεύτηκα.

In meinen letzten beiden Jahren an der DSA war der unvergessene Timoléon Dimópoulosmein Neugriechisch-Lehrer, wir lasen Literatur, u. a. Aléxis Sorbás von Níkos Kazantzákis.Immer wenn der Text die amourösen Abenteuer des Sorbás behandelte, meinte H.Dimópoulos, die folgenden Seiten seien unwichtig, wir machen beim nächsten Kapitel weiter.Klar, dass wir dann zu Hause „die folgenden Seiten“ mit besonderer Aufmerksamkeit lasen.H. Dimópoulos verdanke ich auch die Bekanntschaft mit dem „Bettler“ von AndréasKarkavítsas. Die Sprache des Autors begeisterte mich derart, dass ich mich nach meinemAbitur im Mai 1964 hinsetzte und spontan und ohne Vertrag mit einem Verlag versuchte, denText in meine Muttersprache zu übersetzen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, dieÜbersetzung bei einem Verlag unterzubringen, ruhte sie längere Zeit in einer Schublademeines Schreibtisches, bis schließlich in den 80er Jahren der Romiosini Verlag in Köln sieerlöste und als Buch herausbrachte. Ich habe später noch mehrere griechische Bücher undTexte übersetzt und veröffentlicht, die Basis dafür wurde im Neugriechisch-Unterricht an derDSA gelegt.

Natürlich wusste ich als Schüler in Athen, dass die Wehrmacht Griechenland von 1941 –1944 besetzt hatte, aber das Ausmaß der Zerstörungen und der Leiden der Bevölkerung sindmir erst später, während meines Studiums in Heidelberg, klargeworden, als ich im Verein dergriechischen Studenten verkehrte und, ausgelöst durch den Staatsstreich der Obristen, michintensiver mit der griechischen Geschichte und insbesondere mit dem Zweiten Weltkrieg und

dem Bürgerkrieg beschäftigte. Erst da fiel mir auf, wie wenig selbstverständlich es war, dassab 1956, d. h. gerade mal 12 Jahre nach Abzug der Wehrmacht, griechische Eltern vor allemder Bildungsschicht bereit waren, ihre Kinder auf eine deutsche Schule zu schicken. Das warein enormer Vertrauensbeweis und ein Hinweis, dass sie zwischen den Folgen dermenschenverachtenden Naziideologie, die so viele Deutsche ergriffen hatte, und dem„anderen Deutschland“ zu differenzieren wussten. Heute, fast sechzig Jahre später, nachdemviele Tausende junger Griechinnen und Griechen die DSA absolviert haben, erscheint es mirwichtig, daran zu erinnern.

Und auch daran: Nie sind meine Eltern, meine Schwester und ich auf feindselige oder auchnur ablehnende Reaktionen gestoßen, wenn wir mit deutschem Kfz-Kennzeichen durch dasLand reisten. Auch das empfinde ich im Nachhinein als außergewöhnlich und als Beweis fürdie Differenzierungsgabe und Versöhnungsbereitschaft der griechischen Bevölkerung.

In meiner Erinnerung ist die DSA vor allem die Adresse Metsóvou 4 und später Rethýmnou.Der Hof mit der großen Palme, das Morgengebet und das gemeinsam geschmetterte Lied,dirigiert von einem Mitschüler aus Fáliron, der sommers wie winters im kurzärmligen Hemdauftrat. Die Palme, o fínikas, war der Titel der ersten Schülerzeitung der DSA, derenRedakteur, mein Klassenkamerad Pantelís Panteloúris, später ein ganzes Berufsleben langPresseattaché an verschiedenen griechischen konsularischen Vertretungen und an derBotschaft in Bonn und Berlin war, wo wir uns oft trafen. Zum Sport marschierten wir durchden Park Pedíon tou Áreos zum Panellínion Stadium, wo uns Herr Hilbrecht über dieAschenbahn jagte. Später saß ich in meiner kleinen Klasse im Nebengebäude Rethýmnou,knapp unterhalb der Dachterrasse, wo in der umgestalteten Waschküche (plystarió) HerrBecker versuchte, uns Mozart und Beethoven nahe zu bringen. Mir gefiel das Provisorischeder Unterbringung, es stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl und den menschlichenKontakt mit den Lehrerinnen und Lehrern.

Als Teenager bekam ich von den damaligen politischen Verhältnissen wenig mit.Wirtschaftlich ging es mit Griechenland nach den Zerstörungen der Besatzung und desBürgerkriegs steil bergauf. Die Jahre der Regierung Karamanlís waren von hohem Wachstumund finanzieller Stabilität geprägt. Von den Schattenseiten, der Emigration der sogenanntenGastarbeiter, der Diskriminierung aller Linken, dem Nebenstaat (parakrátos), wusste ichwenig. Dies waren Themen, die an der Schule nicht vermittelt wurden und auch nichtvermittelt werden konnten. Aber ich erinnere mich gut, wie nach dem Wahlsieg von GeórgiosPapandréou 1963 ein politischer und kultureller Aufbruch erfolgte. Ich begann, regelmäßiggriechische Zeitungen zu lesen und entdeckte Themen aus der Besatzungszeit und demBürgerkrieg, die zuvor tabu gewesen waren.

Von 1986 bis 1990 erlebte ich eine zweite intensive Begegnung mit der DSA. Zu meinergroßen Freude hatte mich das Auswärtige Amt als Kulturattaché an die Botschaft derBundesrepublik Deutschland versetzt, wobei meine Griechischkenntnisse sicher eine Rollegespielt haben. Ich lernte die großzügige Anlage der DSA in Parádissos, die meine beidenSöhne besuchten, zu schätzen. Als Kulturattaché saß ich ex officio mit beratender Stimme imSchulvorstand und habe viereinhalb Jahre lang die Geschicke der DSA unter den DirektorenRöske und Dr. Meyer begleitet und insbesondere im Verhältnis zur griechischenSchulverwaltung unterstützt. Als ich beim ersten Besuch in meiner neuen Funktion die Schulebetrat, wurde ich von Fräulein Schmidt begrüßt, die schon in meiner Schülerzeit imVorzimmer des Schulleiters amtierte. Es fehlte nur Frau di Lernia mit ihrem unnachahmlichengermanischen Griechisch, um mich um 22 Jahre zurückzuversetzen. Bei Treffen mitEhemaligen wurde ich dann oft gefragt, ob ich nicht der Sohn des Herrn Klemm sei, desKunsterziehers Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre.

Die Anzahl der Schüler im deutschsprachigen Zweig war in der Zwischenzeit so gestiegen,dass zwei Züge gebildet werden mussten und der deutschsprachige Zweig vom griechischenvöllig getrennt wurde. Meine Söhne besuchten zwar mit griechischen Schülern dieselbeSchule, hatten aber keine griechischen Klassenkameraden mehr, es sei denn es handelte sichum Kinder aus deutsch-griechischen Ehen, die den deutschsprachigen Zweig besuchten.

Entsprechend entfiel für viele deutschsprachige Schüler die Notwendigkeit, fließendGriechisch zu lernen. Leider haben meine beiden Söhne ihr Griechisch weitgehend vergessen,obwohl der ältere – wie zuvor sein Vater – von Frau Karwelá unterrichtet wurde.

Zu meiner großen Freude habe ich bei meinem Besuch in der DSA im April 2016 erfahren,dass sich die griechische Schulgesetzgebung geändert hat und einem integrierten Unterrichtvon griechischen und deutschsprachigen Schülern nicht mehr im Wege steht. Die Erfahrung,gemeinsam im selben Klassenzimmer zu sitzen, verbindet häufig ein Leben lang undimmunisiert dauerhaft gegen Vorurteile und nationale Stereotype, die leider in den letztenJahren, ausgelöst durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, sowohl in deutschen wiegriechischen Medien verbreitet werden.

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